Sicherheitszigarette

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europaweit eingeführt: Was bringt die
Sicherheitszigarette?


Bild Nr.: 1: Schadenbeispiel aus der Praxis des IFS:
Der Brandherd befindet sich im Bereich des Polstermöbels. Hier hatte der Mieter nach eigenen Angaben kurz vor Schadeneintritt eine Zigarette geraucht. Im Zuge der Brandursachenermittlung war eine technische Brandursache auszuschließen. Information 1 2012 25 www.schadenprisma.de


Aufgrund von außer Acht gelassenen, brennenden Zigaretten kommen immer wieder Menschen zu Tode. Seit Mitte November letzten Jahres sind europaweit nur noch Zigaretten mit verminderter Zündneigung erhältlich. Hier sind deren Merkmale, ihre in IFS-Laborversuchen geprüften Brandeigenschaften und Einschätzungen der bestehenden Gefahren erläutert.


Unbeaufsichtigt glimmende Zigaretten gehören laut einer Presseinformation der EU-Kommission in Europa zu den Hauptursachen für Brände mit Todesfolge. Nach Angaben der Mitgliedsstaaten für die Jahre 2003 bis 2008 ereigneten sich in der EU jährlich über 30.000 Brände, die durch Zigaretten verursacht wurden.
Dabei starben über 1.000 Menschen. Mehr als 4.000 wurden verletzt. Auch in der Schadendatenbank des IFS sind zahlreiche Brandschäden verzeichnet, die auf den unachtsamen Umgang mit Zigaretten zurückzuführen sind. Bild 1 zeigt ein Schadenbeispiel.


Schema. Sicherheitszigarette mit zwei Bändern
Quelle: British American Tobacco (Germany) GmbH

Zigaretten mit verminderter Zündneigung

Legt man eine herkömmliche Zigarette nach dem Anzünden beiseite, brennt sie in der Regel bis zum Ende ab. Als Hitzequelle kann sie das Material, auf dem sie abgelegt wurde, entzünden und einen Brand auslösen.
Die neu eingeführten „Sicherheitszigaretten“ besitzen gegenüber den herkömmlichen Glimmstängeln eine verminderte Zündneigung. Im englischen Sprachgebrauch wird dies als „Lower Ignition Propensity“ (abgekürzt LIP) oder als „Reduced Ignition Propensity“ (abgekürzt RIP) bezeichnet. Das geringere Zündpotenzial der LIP/ RIP-Zigaretten wird durch eine Veränderung des Zigarettenpapiers erreicht.
Zigarettenhersteller haben dafür das Zigarettenpapier an zwei bis drei Stellen durch ringförmige Bänder (Schema) modifiziert. Im Bereich dieser Bänder ist das Papier der Zigarette dichter und die Luftzufuhr zum Glutkegel bzw. zum Tabak geringer. Erreicht die Glut ein derartiges Band, ist weniger Sauerstoff vorhanden und der Verbrennungsprozess wird reduziert. Die Zigarette kann dann von selbst verlöschen. Verlöschen die LIP/ RIPZigaretten an einem Band, haben sie gegenüber herkömmlichen Zigaretten eine verminderte Abbrenndauer. Dadurch sinkt das Risiko, dass diese beim unbeaufsichtigten Abbrennen beispielsweise Polstermöbel, Bettzeug oder andere entzündliche Materialien in Brand setzen.


positive Erfahrungen im Ausland

LIP/ RIP-Zigaretten gibt es bereits in den Vereinigten Staaten, in Kanada und in Australien. Seit April 2010 sind die „Sicherheitszigaretten“ auch im EU-Mitgliedsstaat Finnland eingeführt. Hier ging seitdem die Zahl der Opfer von durch Zigaretten ausgelösten Bränden laut EU-Statistik um 43 % zurück.
Umgerechnet auf die gesamte EU würde dies bedeuten, dass jedes Jahr etwa 500 Menschenleben vor dem Brandtod gerettet werden könnten. Dabei ist zu hinterfragen, ob dieser Rückgang ausschließlich auf die Einführung der LIP/ RIP-Zigaretten zurückzuführen ist. Möglicherweise haben auch andere Faktoren dazu beigetragen, wie etwa die verstärkte Nutzung von Rauchmeldern oder die Zunahme des Anteils an Nichtrauchern.
Relativiert wird die hochgerechnete Zahl von etwa 500 vermiedenen Brandtoten auch durch die Tatsache, dass nach Schätzungen von Experten in der EU alleine etwa 500.000 Menschen jährlich infolge der gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums sterben.


Sicherheitsnormen

Seit dem 17. November 2011 darf die Tabakindustrie in der gesamten EU ausschließlich Zigaretten mit verminderter Zündneigung vertreiben. Dadurch erhofft sich die EU eine Reduktion von Bränden, bei denen eine achtlos abgelegte oder unbeaufsichtigt glimmende Zigarette einen Brand verursacht.
Um hersteller- und länderübergreifend einheitliche Anforderungen an die LIP/ RIP-Zigaretten stellen zu können, legt die EN ISO 12863 das Prüfverfahren zur Bestimmung des Brandverhaltens der Zigaretten fest. Gemäß der EN ISO 12863 ist das Brandverhalten der Zigaretten in Apparaturen zu prüfen, die eine verwirbelungsfreie Abfuhr der Rauchgase garantieren. Nach dem Entzünden der Zigaretten sind diese waagerecht auf zehn Lagen Filterpapier abzulegen. Anschließend lässt man die Zigarette bis zum selbstständigen Erlöschen in der Apparatur liegen.
Die Norm EN 16156:2010 legt die Anforderungen fest, die LIP/RIP-Zigaretten zu erfüllen haben. Danach müssen 40 Zigaretten geprüft werden. Nicht mehr als 25 % der zu prüfenden Zigaretten dürfen auf ihrer gesamten Länge abbrennen.
Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorgaben nicht für Zigarren und auch nicht für selbst gedrehte Zigaretten gelten. Auch bei Zigaretten aus dubiosen Quellen, wie sie Straßenhändler meist ohne Steuermarke anbieten, ist nicht davon auszugehen, dass EU-Normen zum Brandschutz eingehalten sind.


1) Norm EN ISO 12863:2010: „Normprüfverfahren zur Beurteilung der Zündneigung von Zigaretten“
2) Norm EN 16156:2010: „Zigaretten - Beurteilung der Zündneigung – Sicherheitsanforderung“


Bild Nr.: 2 Visualisierung der in das Zigarettenpapier eingearbeiteten Bänder durch Anfärbung mit blauer Tintenlösung: Die Tintenlösung steigt in dem Zigarettenpapier durch Kapillarkräfte empor. Im Bereich der Bänder für die verringerte Luftzufuhr ist die Steiggeschwindigkeit geringer. Die Tintenfront erreicht hier in der gleichen Zeit eine geringere Höhe (kurze Pfeile) als außerhalb der Bänder (lange Pfeile).

Versuchsreihen im IFS

Im Abbrandlabor des IFS fanden Versuche mit handelsüblichen LIP/ RIP-Filterzigaretten statt. Die im Zigarettenpapier eingearbeiteten ringförmigen Bänder sind nicht zu erfühlen und mit bloßem Auge nur schemenhaft zu erkennen. Um die Lage der Bänder sichtbar zu machen, wurde das Zigarettenpapier von der Zigarette entfernt, geglättet und mit der langen Kante in eine verdünnte Tintenlösung eingetaucht. Durch Kapillareffekte steigt die Tintenlösung im Zigarettenpapier empor.
Die Bereiche der Bänder zur Verringerung der Sauerstoffzufuhr sind so beschaffen, dass die Tintenlösung hier deutlich langsamer aufsteigt. Somit lassen sich die Bänder als ungefärbte Bereiche erkennen. Die untersuchten Zigaretten besitzen drei Bänder, am Anfang, in der Mitte und am Ende des Zigarettenpapiers (Bild 2).



Bild 3 Dokumentation des Abbrandverhaltens einer Zigarette, die waagerecht auf zehn Lagen Filterpapier positioniert wurde.
Bild Nr.:5 Dokumentation des Abbrandverhaltens einer Zigarette, die mit einer Neigung von ca. 20° auf Lagen von Filterpapier positioniert wurde.






In Anlehnung an das genormte Prüfverfahren nach EN ISO 12863 wurden in einem ersten Experiment vier Zigaretten waagerecht auf zehn Lagen Rundfilterpapier platziert und das Abbrandverhalten dokumentiert
(Bild 3).


In dem Laborversuch verloschen alle vier Zigaretten, bevor sie vollständig abgebrannt waren. Drei Zigaretten sind im Bereich eines Bandes erloschen, die vierte ging zwischen zwei Bändern aus (Bild 4).

Insbesondere bei versehentlich fallen gelassenen Zigaretten ist nicht zu erwarten, dass diese immer auf einem waagerechten, ebenen Untergrund liegenbleiben. Deshalb wurden die Versuchsbedingungen in zwei weiteren Experimenten gegenüber der EN ISO 12863 modifiziert. In einem Experiment wurden die Zigaretten nicht waagerecht platziert, sondern um ca. 20° geneigt (Bild 5). Von abermals vier abgebrannten Zigaretten sind nur noch drei erloschen. Die vierte ist bis zum filter abgebrannt (Bild 6).



Bild 4 rechts- Ergebnis des Brandversuchs für waagerecht liegende Zigaretten: Bei dem Laborversuch gingen alle vier Zigaretten aus, bevor sie vollständig abgebrannt sind. Drei Zigaretten sind im Bereich der Bänder mit dem verringerten Luftzutritt verloschen (blau markiert).
Bild 6 Ergebnis des Brandversuchs für die um 20° geneigt liegenden Zigaretten: Bei dem Laborversuch verloschen drei Zigaretten, bevor sie vollständig abgebrannt sind. Die vierte ist bis zum Filter abgebrannt. Die Bänder mit dem verringerten Luftzutritt sind wiederum blau markiert.


Dokumentation des Abbrandverhaltens einer Zigarette, die mit einer Neigung von ca. 70° in Faltenfiltern positioniert wurde (linke zwei Teilbilder). Zum Schlusss ist die Zigarette bis zum Filter verbrannt (zweites Teilbild von rechts). An den Faltenfiltern ist es zu einer deutlichen Einbrennung gekommen (rechtes Teilbild).


Im letzten Versuch waren die Zigaretten auf einem um rund 70° geneigten Untergrund angeordnet. Gegenüber den beiden vorhergehenden Versuchen wurde kein ebener Untergrund gewählt. Vielmehr waren die Zigaretten in drei Lagen von Faltenfiltern platziert (Bild 7). Das stellt z. B. die Situation nach, wenn eine glimmende Zigarette in die Ritze eines Polstermöbels oder die Falte einer Bettdecke fällt.
Unter diesen Bedingungen kommt es nicht zu einem Verlöschen der Zigaretten im Bereich der Bänder.
Alle Zigaretten des Versuchs sind vollständig bis zum Filter abgebrannt (Bild 8).


Bild 8 Ergebnis des Brandversuchs für die um ca. 70° geneigt liegenden Zigaretten: Bei dem Laborversuch sind alle Zigaretten vollständig verbrannt.


Unter den genormten Versuchsbedingungen nach EN ISO 12863 verlischt die Mehrzahl der Zigaretten an den in das Zigarettenpapier eingearbeiteten Bändern. Wie besonders die beiden Laborexperimente mit gegenüber den Vorgaben der EN ISO 12863 leicht veränderten Versuchsbedingungen zeigen, bieten jedoch auch die LIP/ RIP-Zigaretten keine Garantie für das selbstständige Verlöschen. Vor allem die unachtsam im Papierkorb entsorgte Zigarette oder die beim Einschlafen ins Bett fallende Zigarette wird in der Regel nicht waagerecht liegen bleiben.

Die Bänder der neuen Zigaretten werden folglich ebenfalls ein vorzeitiges Verlöschen nicht sicherstellen können.
Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Zigarette möglicherweise verdeckt wird und nicht nach oben und zur Seite frei liegt, wie für die Normversuche gefordert. Durch eine entsprechend behinderte freie Wärmeabfuhr der glimmenden Zigarettenspitze nimmt die Brandwahrscheinlichkeit gegenüber dem Versuch unter Normbedingungen zu.


Fazit

Eine wirklich sichere Zigarette gibt es nicht.
Zigaretten stellen in Zukunft weiterhin eine potenzielle Zündquelle für Schadenfeuer dar. Wahrscheinlich wird jedoch die Anzahl der durch Zigaretten verursachten Brandschäden zurückgehen. Damit dürfte auch ein Rückgang der Anzahl an Sachschäden, Verletzten und Brandtoten verbunden sein. Wie groß dieser Rückgang ausfallen wird, bleibt abzuwarten.



Autoren, Text und Bilder:

Dr. Dag Leine
Moors, Alfons Düsseldorf -IFS
IFS Institut für Schadenverhütung und Schadenforschung der öffentlichen Versicherer e.V.
veröffentlicht: www.schadenprisma.de Ausgabe 1/2012




siehe auch:

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